Christin Müller
☰   Texts DE

Comic – comical

Die Künstlerinnengruppe Erfurt stellte sich für ihren dritten Film Komik – komisch die Aufgabe, mit nicht-konformen Bewegungen gegen das Frauenbild im Sozialismus und den propagierten „geradlinigen politischen, aufrechten gang“1 mit eigenen Bewegungsmustern vorzugehen. Über das Vehikel des Komischen war es möglich, auch ernste und tragische Themen aus der eigenen Lebensrealität im Film zu visualisieren. Bis auf zwei Duo-Konstellationen treten alle Künstlerinnen einzeln auf. Manche übersetzten ihre Gegenentwürfe zu den Repräsentationsmustern spontan beim Dreh in abstrahierte Bilder, andere in vorher erdachte, eher theatrale Szenen.

Anders als in Frauenträume folgen bei Komik – komisch nicht abgeschlossene erzählerische Episoden aufeinander. Stattdessen hatte Gabriele Stötzer die einzeln mit den Frauen gedrehten Szenen zerschnitten und zu einer dichten Filmcollage verwoben. Bewegungen werden von verschiedenen Frauen an unterschiedlichen Orten dadurch scheinbar fortgeführt, wie etwa eine Drehbewegung zu Beginn des Films: Zunächst beginnt Monika Andres sich zu drehen, dann nehmen Verena Kyselka und Ingrid Plöttner die Bewegung auf und führen sie in veränderter Form weiter. Andere transformieren das Drehen in eckige Körperbewegungen. Im weiteren Verlauf setzt Stötzer den Filmschnitt immer wieder dazu ein, die einzelnen Szenen visuell zu miteinander verknüpfen, zu erweitern oder zu kontrastieren. Das hat zur Folge, dass sich der Plot nicht linear entwickelt und der Film insgesamt abstrakter wirkt als die beiden vorangegangenen. Damit geht zudem einher, dass die Akteurinnen in der raschen Bilderfolge als eine kollektiv agierende und aufeinander reagierende Gruppe in Erscheinung tritt und sich die Handlungsstränge der Filmcollage erst nach und nach ausdifferenzieren.

In Komik – komisch tragen erstmals alle Protagonistinnen ausschließlich selbstgemachte Kostüme. Diese wirken wie der Auslöser für die non-konformen Bewegungen in den Szenen und es lassen sich häufig biografische Bezüge zu den Protagonistinnen herstellen. Zuerst tritt das Zeitungskostüm auf, genäht und getragen von Monika Andres. Für das Kostüm sammelte sie 1987 und 1988 die wenigen Zeitungsartikel aus der kulturpolitischen Wochenzeitung Sonntag2 und aus dem Kulturteil der Thüringischen Landeszeitung, die sie spannend fand. Zusammen mit Plastikfolie und roten Borten vernähte sie die Beiträge zu einer Hose, einer Jacke und einem Hut. Die Zeitungsausschnitte erzählen von ihrem Interesse an der Kultur und Kunst des westlichen Auslands sowie an erweiterten Kunstformen. In den Hut ist etwa ein Artikel über Joseph Beuys eingearbeitet, ein Bericht auf der Jacke thematisiert die Kulturpolitik der BRD, weitere Beiträge stellen einen Glasbläser, einen Töpferhof und den Fischmarkt in Tokio vor. Auf Brusttasche prangt groß das Fragment einer Überschrift: „und Erkenntnis“,3 begleitet von Arno Rinks Gemälde Maler und Modell aus einem Artikel, bei dem es um das Verhältnis von Kunst und Wissenschaft geht. Auf einem Hosenbein befindet sich ein Beitrag zum Geburtstag von Bertolt Brecht. Als Kontrapunkt zu den Texten aus dem Kulturbereich hat Andres einen Bericht über die Planerfüllung der Werktätigen des Bezirks Erfurt eingearbeitet. Zum Ende des Films erfolgt ein bedeutungsvoller Kameraschwenk in Zusammenhang mit diesem Kostüm: Stötzer führt die Kamera ganz nah an die Trägerin heran, hält direkt auf den Schriftzug „und Erkenntnis“ und zoomt anschließend aus dieser Nahaufnahme heraus in die Totale, so dass im Hintergrund das Verlagsgebäude der Zeitung Neues Deutschland sichtbar wird. Die phrasenhaften Inhalte dieses Organs des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei (SED) der DDR waren für die Künstlerinnen wenig interessant. Erkenntnisse lieferte ihnen vielmehr das gemeinsame künstlerische Handeln und Diskutieren abseits der propagierten Gesellschaftsvorstellungen.

In der Werkgenese der Künstlerinnengruppe spielt das Zeitungskostüm eine wichtige Rolle. Es war bei der ersten Modenschau im Augustinerkloster im Juni 1988 zu sehen und wurde bis zur Auflösung der Gruppe regelmäßig in Mode-Objekt-Shows und Performances getragen. An die Verwendung von Zeitungen als künstlerisches Material knüpft Andres mit dem Banner Name Stadt Land an, welches erstmals im Film Signale zu sehen ist.4 Darüber hinaus veranstaltete die Gruppe 1989 ein „Papierkleidfest“ in der Wohnung von Verena Kyselka, wofür weitere Kostüme aus Zeitungen entstanden.

Von Monika Andres kommt in Komik – komisch zusätzlich eine kleine Kollektion mit dem Titel Rotes Glänzen zum Einsatz. Andres war als Werbegrafikerin tätig, wodurch sie Zugang zu dem Plastikmaterial hatte, das unter anderem für Schaufenstergestaltungen und Messen verwandt wurde. Daraus entstanden Jacken, ein Kleid, eine Weste, ein Rock und Hüte, die an Oskar Schlemmers Figurinen aus dem Triadischen Ballett erinnern. In ihren roten Kostümen bewegt sich die Künstlerin durch den Erfurter Stadtraum an Orten, die einen Transit oder Veränderung symbolisieren: Fußgängerbrücken, Treppen und die Baustelle des nie fertiggestellten Kulturpalasts.5 Auf einem Kostüm ist das Motto „Per Aspera Ad Astra“ (lateinisch für: Durch das Raue zu den Sternen) prominent auf Vorder- und Rückseite angebracht. Auf genau diesen Schriftzug zielt die zweite markante Kamerabewegung von Gabriele Stötzer. Auch diese filmische Betonung des Schriftzuges steht für das Ringen der Gruppe um die eigene Kreativität und deren öffentliche Anerkennung.

Während die Kostüme von Monika Andres weniger körperbetont geschnitten sind, sondern getragen eher eine neue Körperlichkeit erzeugten, nutzte Gabriele Göbel ihren nackten Körper als Leinwand für direkt auf die Haut aufgetragene Verkleidungen. So bemalte sie sich etwa halbseitig als Pierrotfigur sowie mit organischen Linien und Farbmustern. Diese bringt sie mit fein austarierten Wellenbewegungen und tierhaftem Gebaren zur Geltung, manchmal kriecht sie auf allen vieren rückwärts durchs Bild. In Nahaufnahmen erscheint ihr Körper mit den Bemalungen und Bewegungen abstrahiert, aus größerer Distanz tritt das pantomimische Spiel stärker hervor. Bei Göbels Beitrag lässt sich ein biografischer Bezug herstellen: Sehr konservativ aufgewachsen, entwickelte sie durch ihre Ausbildung als Physiotherapeutin ein Gefühl für die anatomischen und motorischen Eigenschaften des Körpers. Ihr Interesse an weiblicher Ursprünglichkeit und am Matriarchat erfuhr eine Initialzündung, als sie auf einer Party in Erfurt erstmalig Musik von Kate Bush hörte. Mit dieser Neugier fand sie in die Künstlerinnengruppe, auch weil sie die eigenen Berührungsängste vor Frauen überwinden wollte. In der Interaktion sah sie eine Möglichkeit zur Selbstbefreiung.6

Verena Kyselka, Susanne Weiße und Monique Förster füllen in Komik – komisch drei eher schablonenhafte Rollen aus. Kyselka interessierte sich für fremde Kulturen und tritt im Film in einem Torerokostüm auf. Monique Förster entschied sich vor dem Hintergrund ihrer eher jungenhaften Erziehung für ein weiblich geschnittenes Seidengewand, das wie alle Modelle der Gruppe von Seidenkostümen in Naturtönen gefärbt war. Susanne Weiße vollführt, ganz in Schwarz gekleidet, militärische, sportliche ebenso wie betont ungelenke Bewegungen.

Zwei Auftritte von je einem Akteurinnen-Doppel lockern Komik – komisch auf: So ist Gabriele Göbel mit Ingrid Plöttner auf einem Dach im Hinterhof der Pergamentergasse7 zu sehen. Das Dach nutzen sie als Bühne, auf der sie sich spielerisch um- oder miteinander bewegen und mit überzeichneten Anbiederungsgesten kokettieren. Auf Anregung der filmenden Gabriele Stötzer vergleichen sie tänzerisch ihre Busen. Plöttner trägt zwei verschiedene Drachenkleider, mit ausschwingenden Flügelärmeln, und Göbel erscheint einmal als Pierrot, mit organischen Bemalungen, dann im silbernen Mantel oder gestreiften Kleid. Innerhalb der Gruppe nimmt Ingrid Plöttner eine besondere Rolle ein. Die Schwester von Gabriele Stötzer war als Bäckerin in einer regelmäßigen Anstellung – anders als die meisten anderen Frauen der Gruppe. Mit ihrem rundlichen Körper erweiterte sie das Spektrum der Körperformen und möglicher Kleidungen. Ein zweites Duo bilden Tely Büchner und Ines Lesch. In einem Innenraum betreiben sie ein spielerisches Schattentheater, das an Platons Höhlengleichnis erinnert. In einer nächsten Szene klettern sie über eine Leiter aus dem Haus und verfangen sich auf dem Hof in einem großen Spinnennetz. Später hüpfen sie zusammen, mit einem beigen Stoff verhüllt, wie ein Theaterpferd über das Dach in der Pergamentergasse.

Das Motiv des kindlichen Spiels von Büchner und Lesch wird in raschen Filmschnitten immer wieder vor und nach Szenen von Harriet Wollert eingesetzt, die mit Komik – komisch die Zwangsadoption ihres ersten Sohns verarbeitete. Fröhliche und tragische Sichtweisen auf das Thema Mutter, Kind und Kindlichkeit treffen so aufeinander. Wollert trägt abwechselnd ein weit geschnittenes Strickkleid,8 ein Kleid aus Luftballons und ein Gewand aus Bettlaken. Sie tanzt im Hof, schneidet Grimassen, bevor sie sich auf der Wiese im Lakenkleid windet, unter dem Ballons verborgen sind, schließlich Luftballons gebiert und diese später fliegen lässt. Harriet Wollerts Kind wurde ihr direkt nach der Geburt im März 1988 staatlicherseits entzogen, da sie in Erfurt polizeilich als asoziale und kriminell gefährdete Person eingestuft worden war.9 Gabriele Stötzer hatte sie hochschwanger, kurz vor der Entbindung, eingeladen, an ihrem eigenen Film Veitstanz/Feixtanz10 mitzuwirken. Gemäß Regieanweisung hatten sich dort alle Mitwirkenden bis zur Ekstase zu bewegen, was bei Wollert schließlich die Wehen auslöste. Wenn sie nun in Komik – komisch die Geburt und das erzwungene Loslassen des Kindes nachstellt, so bedeutet das einerseits eine logische Fortführung der künstlerischen Zusammenarbeit mit Stötzer und andererseits eine Möglichkeit, ihr Trauma des Kindsentzugs zu verarbeiten. Durch die Arbeit mit der Künstlerinnengruppe vermochte es Wollert, aus ihrem eigenen schwierigen Alltag zu fliehen. Darüber hinaus erhielt sie von der Gruppe eine existentielle Unterstützung, insbesondere von Gabriele Stötzer.11 Die Solidarität zwischen offiziell anerkannten und im Untergrund aktiven Kulturschaffenden in der DDR zeigte sich an einem Brief, den die Schriftstellerin Christa Wolf an das Erfurter Kreisgericht schrieb. Darin setzt sie sich für eine Rehabilitierung von Harriet Wollert ein und benennt deren kreatives Potenzial und ihr Engagement in der Künstlerinnengruppe als Gründe.12

Komik – komisch wird von Ina Heyner auf dem Hinterhofdach in der Pergamentergasse beendet: mit einer Verbeugung im Kostüm einer weißen Hexe mit weißer Maske. In den Szenen vorher trägt sie in einem langen schwarzen Umhang, der visuell an die Gestalt des mittelalterlichen Sensenmanns erinnert und bei Ina Heyner für veraltete Traditionen stehen sollte. Die Figur hält eine rote, eine gelbe und eine weiße Maske in den Händen, die sie ausprobiert und die Möglichkeiten einer Neuorientierung darstellen. Heyner wechselt den schwarzen Umhang nacheinander gegen zwei hexenartige Kostüme und springt wild über das Dach. Heben sich die Masken, so werden Verletzungen sichtbar. Das Wechseln der Masken und das Ausprobieren von Rollen versteht Heyner als Symbole für die gegenseitige Öffnung und Experimentierfreude innerhalb der Gruppe.

Zahlreiche Kostüme erfahren in Komik – komisch bereits eine künstlerische Zweitverwertung. Diese waren ursprünglich für das Frauenforum des Evangelischen Kirchentags 1988 in Erfurt geschneidert worden. Schon zuvor entwickelte sich der kirchliche Jugendkreis „Offene Arbeit“13 zu einem wichtigen Begegnungsort, nicht nur für die Akteurinnen der Frauengruppe. Dort traf man kreative Gleichgesinnte, die sich genauso für alternative Lebenskonzepte und Themen interessierten beziehungsweise von staatlichen Repressalien betroffen waren. Bei dem Kirchentag mit dem Motto „Umkehr führt weiter“ waren die Künstlerinnen in die Vorbereitung des Forum von Frauen für Frauen involviert, das am Samstag, dem 11. Juni 1988 im Augustinerkloster stattfand. Almuth Falcke, kirchliche Mitarbeiterin und Ehefrau des damaligen Domprobstes Heino Falcke, verantwortete die Organisation des umfangreichen Programms zum Frauenforum. Im Laufe des Tages wurden in Arbeitsgruppen Themen wie Sexismus in der Sprache, alternative Gynäkologie, Frauen in der Bibel, Partnerschaftskonflikte, Frauen im Beruf und so weiter diskutiert und eine Podiumsdiskussion zum Thema Abtreibung angeboten. Darüber hinaus gab es Informationsstände, Ausstellungen und ein Café. Für den Abend wurde ein Frauenfest organisiert, bei dem die Gruppe erstmals vor Publikum eine Modenschau aufführte.14 Vorab schaltete Gabriele Stötzer eine Annonce in der Regionalzeitung, mit der sie auch andere Frauen dazu einlud, sich mit eigenen Modellen zu beteiligen, Harriet Wollert bat per Zeitungsanzeige um die Zusendung von Wollresten für ihre Kollektion. Die Modenschau mit dem Titel Mode von Frauen für Frauen stieß beim Publikum auf positive Resonanz und während der anschließenden Versteigerung wurden einige Kreationen verkauft. Eine Zeitzeugin schlug jedoch einen kritischen Ton an: „Die künstlerische Verarbeitung ließ uns erleben, wie sehr das alte Bild der Weiblichkeit (Kokettieren, Zieren, Arschwackeln, Angegafftwerden, Anmachen) in uns steckt.“15

Die nicht ganz unberechtigte Kritik an der Aufführungsform lässt sich allerdings rasch entkräften, betrachtet man die Entwicklung der Modeindustrie in der DDR. Da genügt ein Blick auf die Sektion Mode innerhalb der X. Kunstausstellung der DDR, die genau während der Vorbereitungszeit des Kirchentags im Dresdner Albertinum16 gezeigt wurde. Für diese entwickelte eine „Arbeitsgruppe Mode/Textil des Verbands Bildender Künstler der DDR“ Modelle mit der Bezeichnung „Bekleidung im Wohnbereich – Ausdruck sozialistischer Lebensweise“, gerichtet an die Zielgruppe „im Neubau lebende Familie mit Kind“.17 In diesem Kontext kann die Gestaltung einer eigenen, auf Unikate beschränkten Kollektion seitens der Künstlerinnengruppe, ohne Anspruch auf praktische Gebrauchsweisen und mit ungewöhnlichen Farben und Formen, bereits als Rebellion begriffen werden. Zudem verhinderten die Form und Materialität des Zeitungskostüms von Monika Andres und des Kostüms Mea Culpa von Verena Kyselka regelrecht das klassische Abschreiten des Laufstegs. Sie können daher als erste Mode-Objekte der Gruppe gelten. Der kreative Umgang mit solchen Mode-Objekten und deren öffentliche Präsentation in Erfurt folgt einer damaligen Tendenz der ostdeutschen Subkultur. Als Reaktion auf den Mangel an unverwechselbaren oder zumindest besonderen Kleidungsstücken, entwarfen und fertigten ab den frühen 1980er Jahren viele junge Frauen ihre Bekleidung selbst, auch als Ausdruck eines individuellen Lebensentwurfs. Prägend war dabei die Gruppe chic, charmant & dauerhaft (ccd) aus Ost-Berlin, die 1983 erstmals öffentlich im Berliner Jugendklub Schaufenster auftrat. Aus dieser Formation heraus fand sich 1987 das Modetheater Allerleirauh zusammen und begann noch extremere Kreationen zu gestalten, die dann halböffentlich als thematische Choreografien mit Musik aufgeführt wurden und die kreative Gegenkultur begeisterten.

Kurze Zeit nach der Modenschau im Erfurter Augustinerkloster begann die Arbeit am Film Komik – komisch und mit diesem erfolgte ein erster Schritt hin zu einem experimentellen und abstrahierenden Agieren. Im März 1989 fand die erste Live-Performance der Künstlerinnengruppe Erfurt in Leipzig statt. Als künstlerisches Genre hatte die Performance zu diesem Zeitpunkt einen schwierigen Stand: Zwar wurden ab etwa Mitte der 1980er Jahre bildnerische Kunstpraktiken mit Aufführungscharakter in der DDR gelegentlich geduldet, Performances als gleichberechtigte Kunstform wurden jedoch bis in die Endphase der DDR nicht akzeptiert und waren dadurch verhältnismäßig selten öffentlich oder halböffentlich zu sehen.18 Anlass der Leipziger Performance war die Eröffnung der Ausstellung Malerei Grafik Objekte von Verena Kyselka und Monika Andres in einer dortigen Einrichtung des Kulturbundes der DDR, dem Klub & Galerie Nord. Im Vorgespräch zur Ausstellung regte die damalige Galerieleiterin Ina Gille die beiden Künstlerinnen an, eine Performance mit der Gruppe aufzuführen.19 Bei den Akteurinnen führte das zunächst zu Überlegungen, was unter diesem Konzept zu verstehen sei.20 Schließlich einigten sich die Frauen auf „Stehgreifstücke, die nicht in gleicher Form wiederholt werden“.21 Der Titel der ersten Aufführung, Figuraler Einzelgang zeitgemäßer Erscheinungen von Monika Andres steht symbolisch für die Art des Zusammenwirkens der einzelnen Individuen. Eine Einladung für eine spätere Aufführung, die den gleichen Titel aufgreift, beschreibt das Anliegen der Gruppe noch konkreter: „Es geht um die Gleichzeitigkeit, die Eigenheit und höhere Zusammengehörigkeit der unterschiedlichen Figuren. [...] Jede ist die Melodie ihrer selbst und das Echo der anderen.“ Von der ersten Performance sind ausschließlich Fotografien erhalten, die die Interaktionen der Frauen zeigen. Bereits hier scheint sich ein erweitertes Bewegungsrepertoire abzuzeichnen. Selbstproduzierte Musik beziehungsweise Töne und Textlesungen wurden als Elemente immer wichtiger: Verena Kyselka spielte Geige, Gabriele Stötzer Bongos, Monika Andres sang, eigene Texte wurden rezitiert. Für die Performances entstanden viele neue Kostüme, die nichts mehr mit alltäglich tragbarer Mode gemein hatten. Einige kamen im nächsten Film, Signale, zum Einsatz, manche waren bis zur Auflösung der Künstlerinnengruppe 1994 ausschließlich bei Live-Auftritten zu sehen.

1   Gabriele Stötzer, unveröffentlichtes Typoskript, 2009.

2   Bis November 1990 herausgegeben vom Kulturbund der DDR. Nach der Auflösung der Zeitung 1990 ging sie in die Wochenzeitung Freitag, heute der Freitag, über.

3   Siehe Lothar Striebing: „Kunst und Erkenntnis. über das partnerschaftliche Verhältnis von Kunst und Wissenschaft“, in: Sonntag, 5/1988, S. 3.

4   Für das Banner Name Stadt Land verwendete Andres ausschließlich die Zeitung Neues Deutschland. Organ des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands.

5   Zu dem Kulturpalast in Erfurt hat Monika Andres einen innerfamiliären Bezug. Ihr Vater, Dr. Günter Andres, hatte das Gebäude als freier Architekt projektiert. Nach der Wiedervereinigung wurde das Bauvorhaben auf Initiative der Bürgerrechtsbewegung revidiert und die bereits errichteten Gebäudefragmente abgerissen (Monika Andres im Gespräch mit Susanne Altmann und der Autorin am 11. Juni 2021).

6   Gabriele Göbel im Gespräch mit Sonia Voss und der Autorin am 25. Juni 2021.

7   Im Hinterhof der Pergamentergasse 41 hatte Gabriele Stötzer von 1980 bis 1994 ihr Atelier mit Webstuhl. Der Ort diente mehrfach für Treffen der Gruppe, einzelne Aktionen und als Bühne für die Filme.

8   Während ihrer Schwangerschaft hatte Harriet Wollert fast manisch sowohl für ihr Kind als auch für die Modenschau im Augustinerkloster gestrickt (Harriet Wollert im Gespräch mit Susanne Altmann am 4. August 2021).

9   Die Einstufung als asozial bedeutete, dass Wollert ihren Personalausweis abgeben musste und einen so genannten Ersatzausweis PM12 bekam. Mit diesem konnte sie sich nur noch eingeschränkt bewegen und bspw. nicht mehr nach Berlin reisen. Angedroht oder eingesetzt wurde diese Maßnahme häufiger bei kreativ tätigen Personen, die man in ihrem Aktionsradius beschneiden wollte.

10   Gabriele Stötzer, Veitstanz/Feixtanz, Super-8-Film, 1988.

11   Siehe Harriet Wollert: „Wer ist Gabriele Stötzer? Ein Versuch“, in: Schwingungskurve Leben, hrsg. von Ulrike Bestgen und Wolfgang Holler, Weimar 2013, S. 61–69.

12   Zuträglich für die Unterstützung von Harriet Wollert war die langjährige Freundschaft zwischen Gabriele Stötzer und Christa Wolf, die seit Ende der 1970er Jahre bestand.

13   Die „Offene Arbeit“ des Evangelischen Kirchenkreises Erfurt versteht sich seit 1979 bis heute als Basisgemeinschaft, die Raum für ein offenes Miteinander und Austausch für Menschen unabhängig von Alter, Sozialisation, Nationalität und Weltanschauung bietet. Siehe: www.offenearbeiterfurt.de (zuletzt abgerufen am 11. Oktober 2021).

14   Siehe: Programmheft Evangelischer Kirchentag Region Thüringen, 1988, S. 11.

15   Hanna Sikasa, „Frauenforum“, in: Frauengruppen in der DDR der 80er Jahre, hrsg. von Samirah Kenawi, Berlin 1996, S. 152.

16   Die X. Kunstausstellung wurde vom 3. Oktober 1987 bis 3. April 1988 im Albertinum in Dresden gezeigt. Ausgestellt wurde Malerei, Grafik, Plastik, architekturbezogene Kunst, Formgestaltung, Moden, Kunsthandwerk, Gebrauchsgrafik (Buch, Plakat, Wirtschaftsgrafik und Ausstellungsgestaltung), Szenografie, Fotografie und Karikatur/Pressezeichnung.

17   Sonia Wüsten, „Mode“, in: X. Kunstausstellung der DDR. Dresden 1987/88, Ausst.-Kat., hrsg. von Ministerium für Kultur der DDR, Verband Bildender Künstler, Dresden 1987, S. 261.

18   Siehe Angelika Richter: Das Gesetz der Szene. Genderkritik, Performance Art und zweite Öffentlichkeit in der späten DDR, Bielefeld 2019, S. 174.

19   Dieser Vorstoß von Ina Gille ist insofern interessant, als sie nach der Ablehnung des Vorschlags, 1984 für Aktionskunst eine eigenständige Sektion im Verband Bildender Künstler einzurichten, im März und Oktober 1988 mit weiteren Kunsthistoriker_innen eine Petition zu mehr Mut und Gesprächsbereitschaft beim VBK-Präsidium einreichte. Siehe Richter, ebd., S. 176.

20   So berichteten es Verena Kyselka, Ina Heyner und Gabriele Stötzer in Gesprächen mit der Autorin am 9. und 10. September 2021.

21   Ina Heyner im Gespräch mit der Autorin am 10. September 2021.

Place of Publication
Susanne Altmann, Katalin Krasznahorkai, Christin Müller, Franziska Schmidt, Sonia Voss, nGbK Berlin (Ed.): PANTS WEAR SKIRTS. Künstlerinnengruppe Erfurt 1984-1994, Berlin 2023, pp. 92-114
Links (external)
Verlag nGbK
Hatje Cantz