Christin Müller
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Rezension: Christof Nüssli und Christoph Oeschger: Miklós Klaus Rózsa

Schon zu analogen Zeiten sammelten eifrige Überwacher im Sinne des Staatsschutz' Unmengen von Daten. Das ist nicht neu ebenso wie Erschrecken und Amüsement, die sich so häufig beim Lesen der kammerspielartigen Mitschriebe einstellen und in der Kunst schon unterschiedlichste Blüten getrieben haben. Warum also eine weitere Akte öffentlich ausbreiten? Um ein erneutes Mal Ausmaß und Methoden anzuklagen, während eine mittlerweile digitale Aufzeichnungsmaschine trotzdem protokolliert? Die Akten von Miklós Klaus Rózsa im Künstlerbuch von Christof Nüssli und Christoph Oeschger sind ein interessanter Sonderfall: Als Teil der Nach-'68er Jugendbewegung in der Schweiz gehörte Rózsa zu den „staatsgefährdenden Personen“, die – hierzulande eher unbekannt – bis 1989 von Stadtpolizei, Schweizerischer Kantons- und Bundespolizei observiert wurden. Als Pressefotograf begreift Rózsa sein Fotografieren als politischen Akt und schoss mit seiner Kamera zurück. Diese Doppelperspektive machen sich Nüssli und Oeschger zunutze und collagieren Überwachungsprotokolle mit Aktivistenfotografien. Beim Durchblättern der rund 600 Seiten können wir so mit den Augen munter zwischen beiden Beobachterperspektiven, zwischen Fotografien und Text, hin- und herspringen.

Bewegung und Gegenbewegung, Schuss und Gegenschuss beginnen 1971 und enden 1989. Durch den persönlichen Kontakt zu dem fotografierenden Aktivisten erhielten Nüssli und Oeschger Zugang zu dessen Archiv aus fünf Bundesordnern à 400 bis 500 Seiten und unzähligen eigenen Fotografien. Schon auf den ersten Blick erinnern die maschinengetippten Protokolle auf merkwürdige Art an die ostdeutsche Staatssicherheit. Anders als in Deutschland erhält man in der Schweiz auf Antrag eine Kopie sämtlicher Aktennotizen. Vor Versand werden diese frisiert: Schraffuren, Ausschnitte und Streichungen verdecken Namen von Polizeiverantwortlichen und hinterlassen Informationsflickenteppiche. Dafür bleiben persönliche Details und Meinungen über Aktivisten stehen. Rózsas Akte beschreibt ihn als „jahrelangen Krawallant und Anführer der linken Szene“, der als Fotograf die Arbeit der Polizei behindert. Eingestuft als „Gefahr für die innere Sicherheit“ wird Rózsa, der mit 1956 zwei Jahren als Ungarnflüchtling in die Schweiz kam, die Einbürgerung verwehrt. Registriert sind seine Teilnahme an Demonstrationen gegen die ungerechte Verteilung von Kulturgeldern und Wohnungen, Antikriegs- und Anti-Atommärsche, banale Telefongespräche, Verhörprotokolle und Zeitungsartikel. Diese Dokumente sind im Buch 1:1 reproduziert, darauf liegen Rózsas Fotografien, die den flächendeckenden Observationen ein Gesicht geben. Mitten aus der Zürcher Bewegung heraus portraitiert er Polizisten mit Atemschutzmasken und ihren heute grotesk wirkenden Schildern aus Korbgeflecht, zeigt Aktivisten im Rauchgeschwader und bei internen Versammlungen, fängt bürgerkriegsähnliche Gefechtssituationen ebenso ein wie Nebenschauplätze dieser politisch bewegten Zeit in der Schweiz.

Im Verschränken beider Erzählstränge verdeutlichen Nüssli und Oeschger das Ringen um die Kontrolle und Deutungshoheit der Ereignisse. Staatsbeobachtung und autonome Berichterstattung treten auf den Buchseiten in Kommunikation, verstärken und widersprechen sich. In der Detailhaftigkeit wird es ab und an unübersichtlich. Als Betrachter verheddert man sich leicht in den informationsdichten Berichten und Fotografien. Drei Texte geben am Schluss Orientierung: Die Künstler schreiben über ihr Anliegen und historische Umstände. Als Zeitzeugen treten der portraitierte Aktivist Rózsa und der Historiker Peter Kamber auf. Lobenswert ist die englische Übersetzung zahlreicher Beobachtungsprotokolle. In der Vielstimmigkeit ist es ein sehens- und lesenswertes Buch, weil es das Wesen von Überwachung am Beispiel einer Person aus gegensätzlichen Perspektiven ausleuchtet. Dabei entsteht zuweilen ein dunstiges Bild der Ereignisse und es wird deutlich, dass Protokolle und Fotografien stets lückenhafte Interpretationen sind.
 

Publikationsort
Photonews, Hamburg 2014, Nr. 09/14, S. 24
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