Christin Müller
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Ein Bild und seine Geschichte

Folge 2: Anna Ehrenstein "Franceline"

Die junge Frau im Bild, Franceline, ist Teil der Community um das senegalesische Kollektiv DonKafele, das in Dakar recyclete Kleidung verkauft und Veranstaltungen zu Upcycling organisiert. Aus dem Bild von Anna Ehrenstein blickt sie in cooler Rapperpose heraus, während sie auf einer Drohne über Swimmingpoolwasser schwebt. Es entstand in einem Dialog, bei dem Franceline ihre Kleidung und Haltung selbst wählte und sich im Gespräch über gegenwärtige Technologien mit Ehrenstein für die weiteren Elemente entschied. Während Ehrenstein dieses Bild im Kunstkontext zeigt, verwendet DonKafele es für T-Shirts ihrer Kollektion.

Diese knappe Beschreibung des Motivs und der Umstände des Bildes "Franceline" erzählt bereits viel über Ehrensteins Einstellung zu den Fragen, die uns aktuell nicht nur im Kunstdiskurs beschäftigen: Wie variabel stehen Bild und Machtausübung zueinander? Wie kann das starre Narrativ über Migration aufgelöst und statt dessen ein produktiver Blick auf diese gerichtet werden? Wie verändert sich unser Verhältnis zu Fotografie und wie prägen die digitalen Räume den realen Lebensraum?

Antworten finden sich in der Biografie der Künstlerin und in ihrer Positionierung als Bildautorin. Ehrenstein wurde 1993 als Tochter albanischer Eltern in Deutschland geboren. Während ihre Mutter ein Arbeitsvisum erhielt, startete ihr Vater nach einem abgelehnten Asylantrag in Tirana neu. Diese biografische Erfahrung weckte ihr Interesse an diasporischen Erzählungen und migrationsbezogener materieller Kultur. In ihrem Vorgängerprojekt "Tales of Lipstick and Virtue" (2017) porträtierte Ehrenstein sich selbst inszenierende Frauen und untersuchte die Ästhetik von Warenimitationen im postkommunistischen Albanien, um über Authentizität, Gender, kulturelle Vorurteile und Pseudoluxus zu reflektieren. Aufgrund ihres familiären Hintergrunds konnte sich sie bei diesem Projekt leicht in die Communities integrieren und an deren visuelle Sprachen anknüpfen.

Für ihre neue Werkgruppe "Tools for Convivality", zu der das Bild "Franceline" gehört, musste sich Ehrenstein neu positionieren. Die ihr automatisch zugeschriebene Perspektive von Aussen bricht sie über eine prozesshafte Kollaboration mit Kulturproduzenten aus Dakar auf. Mit Nyamwathi Gichau, Awa Seck, DonKafele, Saliou Ba und Lydia Likibi tauscht sich sich über deren Aktivitäten und Lieblingsorte genauso aus wie über die Auswirkungen der zunehmenden Digitalisierung und Vernetzung auf das gesellschaftliche Zusammenleben. Entgegen der Vorstellung, dass Migration stets in Richtung des sogenannten Westens erfolgt, verfolgt Ehrenstein die Idee des Zirkulierens von Material, Wissen und Kultur. Diese Form des Austauschs durchzieht das gesamte Projekt – neben den gemeinsamen Bildschöpfungen finden auch vorhandenes visuelles Material aus Dakar und Aufzeichnungen ihrer Kommunikation Eingang in die Werkgruppe Ehrensteins und diese werden ebenso von ihren Kollaborateuren weiterverwendet.

In "Franceline" zeigt sich ein vielschichtiges Nachdenken über die gegenwärtigen Parameter der Fotografie. Die Bildästhetik transportiert die Leichtigkeit von Social-Media-Bildern, die Ehrenstein jedoch in den Details kritisch unterwandert. Mit den durch Bild schwirrenden Drohnen assoziieren wir Überwachung, Kontrolle und Kriegsführung. Sie sind neben Mobiltelefonen die Aufzeichnungsapparate des 21. Jahrhunderts, die unser Zusammenleben entscheidend prägen. Bei genauerem Hinsehen entlarven Faltenwürfe das schillernde Wasser als bedruckten Stoffvorhang und verbinden solche Inszenierungen mit der Hintergrundstaffage von Studioporträts im 19. Jahrhundert. Das optische Spiel wird durch die Doppelung des Gesichts und den einkopierten dritten Fuß um digitale Bildstörungen (Glitches) erweitert. Das Wasser lässt zudem an das vielbeschworene Flüssigwerden der Fotografie im Zuge der Digitalisierung denken. Der damit verbundenen Dematerialisierung und Vernetzung setzt Ehrenstein eine starke materielle Inszenierung entgegen: In Ausstellungen wird das Bild als riesiges Diapositiv manifest, zu dem wir uns im Raum positionieren müssen.


Anna Ehrenstein mit Nyamwathi Gichau, Awa Seck, DonKafele, Saliou Ba und Lydia Likibi,
"Franceline", 2019, aus: "Tools For Conviviality", seit 2018, Installation, UV-Print auf Acrylglas, Metal, 150×150×110 cm

 

 

 

Publikationsort
Photonews, Hamburg 2020, Nr. 10/20, S. 22
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