Christin Müller
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"Farben immer so, wie sie sein sollen"

Talisa Lallai tariert in ihrem Werk den Einsatz von Farbe fein aus. Sie fotografiert mit Farbnegativfilmen und filmt mit Super-8-Filmen, die sie im Anschluss einscannt und printet beziehungsweise projiziert oder auf Monitoren zeigt. An den analogen Foto- und Filmmaterialien schätzt die Künstlerin deren spezifische Farbigkeit und Körnigkeit. Diesen wohnt eine gewisse Nostalgie inne, die mit Lallais künstlerischer Auseinandersetzung mit der unbestimmten Sehnsucht nach dem Exotischen eine produktive Verbindung eingeht. Zusätzlich wählt die Künstlerin gefundenes Bildmaterial aus. Mit den historischen Materialien erweitert sie nicht nur das motivische und inhaltliche Spektrum, es kommt auch eine andere Materialität in ihre Werkgruppen hinein. In dieser Künstlerinnenpublikation Post Tropical stellt Lallai erstmals den eigenen Bildern gefundene Werbeanzeigen zur Seite. Die Anzeigen rühmen die Farbtreue von Diafilmen aus dem Hause Agfa-Gevaert und verweisen zugleich explizit auf das Nachdenken über Farbe in der Fotografie als wichtiges Thema im künstlerischen Schaffen Lallais.

Entnommen hat Talisa Lallai die Anzeigen dem deutschen Reisemagazin Merian, aus den Heften Kreta von Juli 1978 und Turin, Piemont, Aostatal von Juni 1982. Agfa-Gevaert verspricht dort, dass die Diafilme „Farbtreu bis in die feinsten Töne“ und „Schön wie die Natur“ sind. Das klingt verheißungsvoll. Die Bedeutung von fotografischen Farben wird hier – werbetypisch – recht einseitig betrachtet und ist natürlich mit einer positiven Zuschreibung für ein bestimmtes Produkt verbunden. Im Kontext von Post Tropical geben die Anzeigen einen Anstoß, Farbe als fotografisches Gestaltungsmittel zu befragen. Sie laden ein, danach zu forschen, welche Informationen sich aus den Farbcharakteristika von Fotografien herauslesen lassen, welche technischen Möglichkeiten und Vorlieben diesen innewohnen und wie sich der tatsächliche Zustand der Farben im Bild ebenso wie unsere Wahrnehmung von fotografischen Farben verändern.

Im kunst- und fotohistorischen Diskurs bekommt die Verflechtung von Farbe und Bildaussage eher wenig Aufmerksamkeit.2 Eine der wenigen Ausnahmen ist die US-amerikanische New-Color-Bewegung der 1960er Jahre, deren Benennung bereits Farbe als Ausdrucksform der fotografischen Werke huldigt.3 Künstler um William Eggleston, Stephen Shore und Joel Meyerowitz nutzten diese als künstlerisches Mittel zur Übersetzung ihrer Bildideen und traten so der verbreiteten Meinung entgegen, Farbfotografie sei zu kommerziell und amateurhaft, um im Kunstdiskurs bestand zu haben. In der Fotorestaurierung wächst seit Jahren die Aufmerksamkeit für Farbwiedergabe und insbesondere deren (In-)Stabilität. In Diskussionen mit Künstler:innen wird zuweilen darüber gestritten, ob bei einem Neuabzug auch Farben mit den verbesserten Möglichkeiten der Gegenwart korrigiert werden sollten, statt deren Originalzustand wiederherzustellen.4 Spätestens an dieser Stelle wird klar, wie bestimmend die Farbcharakteristika für die Aussage künstlerischer Werke sind und wie schnell sich diese verschieben können.

Seit der Erfindung der Fotografie ist Farbe ein wichtiges Thema für die technische Entwicklung des Mediums. Mitte des 19. Jahrhunderts war die gleichmäßige Übersetzung von Farbe in Graustufen eine der großen Herausforderungen, da das frühe lichtempfindliche Material die Helligkeitswerte der Farben verschob.5 Die fotografischen Verfahren des 19. und frühen 20. Jahrhunderts brachten außerdem ihre eigene Farbigkeit mit. Daguerreotypien erscheinen etwa bläulich-grau, für Albumin-Abzüge ist eine gelbliche Tönung charakteristisch, während Kalotypien eher eine rot-bräunliche Anmutung haben. Diese farblichen Charakteristika wurden von Fotograf:innen vermutlich nicht nur funktional betrachtet. Vielmehr erlaubte der Variantenreichtum der frühen fotografischen Techniken, mit der Tönung bildnerisch zu agieren. Um die Wende zum 20. Jahrhundert experimentierten die Kunstfotograf:innen mit Farbfotografie-Verfahren wie Gummidruck und Autochromen und beeinflussten so selbst die technische Entwicklung in ihrem eigenen künstlerischen Interesse. Bevor die Farbfotografie Mitte des 20. Jahrhunderts einen stabilen und praktikablen Status erreichte, hatten die zunehmend standardisierten Silbergelatineabzüge seit Anfang des 20. Jahrhunderts in die Richtung neutrales Schwarz-Weiß gestrebt. Abhängig von der verwendeten Chemie und vom Papier bewegen sich die Prints jedoch auch in Richtung kalte (bläuliche) oder warme (gelbliche) Anmutung. Seit der Digitalisierung sind wir die klare und kräftige Farbigkeit von digitaler Fotografie gewohnt, bei der vor der Aufnahme mit Weißabgleich manuell oder in vorgefertigten Modi die gewünschte Farbtemperatur eingestellt werden kann. Aus der Perspektive der analogen Fotografie wirkt die Farbgebung der digitalen Aufnahmen meist künstlich. Andersherum, aus der Perspektive des Digitalen, erscheinen analoge Bilder im Vergleich seltsam zeitlich und räumlich entrückt.

Als Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre die beiden Anzeigen von Agfa in den Merian-Heften veröffentlicht wurden, war die Verwendung der Farbfotografie unter Hobbyfotograf:innen schon längst weit verbreitet, zumindest in Westeuropa und den USA. Eine Alternative zum Farbnegativfilm stellte der Diafilm dar, mit dem sich einfach und günstig gute Farbbilder erstellen ließen. Rund vierzig Jahre vorher waren erstmals Diafilme als sogenannte Farbumkehrfilme auf den Markt gekommen. Etwa zeitgleich hatten Kodak und Agfa Mitte der 1930er Jahre ihre Diafilme Kodachrome und Agfacolor vorgestellt.6 In der Nachkriegszeit erlebte private Fotografie einen erneuten Aufschwung und Diaabende ihre Blütezeit. Der in den Anzeigen beworbene Agfachrome CT18 war neben Kodachrome der beliebteste Amateurfilm in Deutschland. Ab 1981 kam mit dem Fujichrome des japanischen Herstellers Fuji ein dritter Marktbestimmer hinzu. Bis heute, auch nach Einstellung und teilweise Wiederbelebung der Produktion von Diafilmen7 und dem generell rückläufigen Trend der Fotografie auf Dia, wird über die unterschiedliche Wiedergabe der Farben bei Kodak, Agfa und Fuji gesprochen.8 Während Kodachrome für wärmere Farben steht, stechen bei Fuji vor allem die ausgewogenen Grün- und Blautöne hervor und bei Agfa die schönen Hauttöne. Im Vergleich zu Farbnegativfilmen haben alle Diafilme einen höheren Kontrastumfang und Farbbrillanz. Grund dafür sind mehrere Schichten im Film, in denen Farbkuppler enthalten sind oder nach der Belichtung eingewaschen werden. Im Vergleich zu Farbnegativfilmen haben sie außerdem eine deutlich höhere Dichte, damit beim Projizieren auch die dunkelsten und hellsten Stellen nicht ausbrechen. Die Werbeanzeigen für den Agfachrome CT18 bebildern die Qualität der Filme mit farbenfrohen Aufnahmen von Tieren. Die Anzeige von 1982 zeigt zwei Papageien, deren „herrlich bunte Köpfe“ und Schnäbel in „knalligem Rot“ im Agfa-Dia „einfach fantastisch“ aussehen. Jede:r kann mit diesem Film fotografieren, der Agfachrome bringt die Farben „immer so, wie sie sein sollen“.

Heute, 2024, rund vierzig Jahre nach Erscheinen dieser Anzeigen, trifft dieses Versprechen von Agfa vermutlich nur noch auf die gedruckte Form in den Merian-Heften zu. Die Farben der damals aufgenommenen Diapositive sehen wahrscheinlich nicht mehr so aus, wie sie sein sollten, zumindest nach der Vorstellung der Hersteller. Als fotochemische Materialien unterliegen Diafilme einem ungleichmäßigen Alterungsprozess. Je nach Marke werden die Dias mehr oder weniger rot- oder blaustichig und verbleichen aufgrund häufiger Projektion oder falscher Lagerung – und sind damit für eine farbrichtige Wiedergabe unbrauchbar. An dieser Stelle setzt Talisa Lallai an. Neben den Werbeanzeigen und eigenen Fotografien fügt sie dieser Publikation historische Diaaufnahmen mit Motiven aus Südamerika hinzu. Anstatt die Farben der Dias neutral zu stellen oder anzugleichen, was ohne großen Aufwand im Prozess der Digitalisierung möglich wäre, belässt sie die Farbstiche in den Reproduktionen. Für Lallai sind die vermeintlich falschen Farben genau richtig, denn sie machen einen visuellen Reflexionsraum auf. Verglichen mit den neuen, von ihr selbst kürzlich aufgenommen Fotografien tritt die zeitliche Distanz zu den gefundenen Bildern sichtbar hervor. Ganz nebenbei wohnt dieser Bilderzusammenstellung Lallais ein erweitertes Verständnis des Mediums inne: Eine Fotografie ist nie nur ein Motiv, das einen Moment in der Vergangenheit konserviert. Der fotografische Bildkörper, seine eigene Materialität und Veränderung speichern darüber hinaus die Zeit, die seit dem Drücken des Auslösers vergangen ist und auf die wir aus der Gegenwart blicken. Im Kontext dieser Publikation unterstreicht dies: Genauso wie die gegenwärtige Farbgestaltung in der Fotografie auf der Vorherigen fußt, sich von dieser abgrenzt oder sich diese zu eigen macht, bieten die vorhandenen Motive des Tropischen einen Resonanzraum für die Auseinandersetzung mit dem Posttropischen.

1   Werbeanzeige von Agfa-Gevaert, in: Merian: Turin, Piemont, Aostatal, Heft 6/35, Juni 1982. (Titel dieses Texts)

2   Das prangerte der Kunsthistoriker Thilo König in einem 2020 veröffentlichten Plädoyer für eine Geschichte der Farbfotografie an, in dem er die Vernachlässigung und Bedeutung von Farbe in der Fotografie hervorhebt. Thilo König: „Die (un-)sichtbare Farbe. Ein Plädoyer für eine Geschichte der Farbfotografie“, in: Fotomuseum Winterthur (Hrsg.): Color Mania. Materialität Farbe in Fotografie und Film, Zürich 2020, S. 51-70. Im gleichen Jahr erschien The Colors of Photography, herausgegeben von Bettina Gockel, als Tagungsband zum gleichnamigen Symposium an der Universität Zürich, das 2015 stattfand. Zuletzt thematisierte das Symposium Framing Colour: On the Ambivalent Desire for Colour in Photography & the Visual Arts 2023, organisiert von der Forschungsgruppe Thinking Tools der Koninklijke Academie voor Schone Kunsten Antwerpen, im FOMU Antwerpen die vielschichtigen Bedeutungen von Farbe.

3   Vgl. Sally Eauclaire: The New Color Photography, New York 1981.

4   Diese Diskussionen finden weitestgehend auf Symposien statt, zuletzt unter anderem im Münchner Stadtmuseum bei dem Symposium Fotografische Sammlungen im Wandel. analog digital mixed media am 24. und 25.1.2019 oder bei dem Symposium Reproduktion in der Fotokunst. Erhalt des Originals, Neuproduktion oder Interpretation? am 21.11.2014 in der Kunststiftung DZ Bank, Frankfurt am Main.

5   Vgl. Jan van Brevern: „Die Wissenschaft vom Verzicht. Farbenlehren der Schwarz-Weiß-Fotografie im 19. Jahrhundert“, in: Horst Bredekamp, Matthias Bruhn, Gabriele Werner (Hrsg.): Bildwelten des Wissens, Bd. 8,2: Graustufen, Berlin 2011, S. 54-64.

6   Vgl. Fotografische Sammlung im Museum Folkwang (Hrsg.): Verfahren der Fotografie, 2. Auflage, Essen 1999, S. 66.

7   Zunächst hatte Agfa 1984 seinen eigenen Diaprozess auf den E-6-Prozess von Kodak umgestellt und 2004 die eigene Fotosparte gänzlich abgestoßen. Kodak verkündete 2012 die Einstellung der Produktion von allen Diafilmen, bereits seit 2009 wurde der Kodachrome nicht mehr produziert. 2018 kam der Ektachrome-Diafilm in neuer Form zurück auf den Markt. Fuji produziert bis heute Diafilme, jedoch mit wechselnden Typen.

8   Die spezifischen Eigenschaften der Filme werden vor allem im angewandten Bereich diskutiert. Vgl. dazu u. a. Fotoimpex, Berliner Händler für analoge Fotomaterialien: https://www.fotoimpex.de/shop/filme/kodak-ektachrome-e100-120.html?cache=1644758576 (zuletzt aufgerufen am 23.10.2023), Michael Langford (Hrsg.): Enzyklopädie der Fotopraxis. Technik, Handwerk und Kunst mit 1500 Bildbeispielen, Gütersloh 1989, 150 f., sowie Wikipedia-Einträge zu den Filmtypen.

Publikationsort
Talisa Lallai: Post Tropical, Berlin 2024
Links (extern)
Bom Dia Books
Talisa Lallai