Selbstverständlich eigensinnig
Von Disko zu Disko – den Titel der Ausstellung im Museum der bildenden Künste Leipzig hat sich Harry Hachmeister von Whirlpool Productions geliehen.1 Im Song der Kölner Band geht es um verheißungsvolle Begegnungen in der Disko. Das dazugehörige Musikvideo zeigt ein Spiel mit Blicken, Körpern und Geschlechtsidentitäten an der Bar und auf der Tanzfläche. Harry Hachmeister greift in seinem Werk dieses Spiel auf. Er interessiert sich jedoch weniger für die nächtliche Theatralik und die Zurechtgemachtheit der Tanzenden im schummrig bunten Partylicht. Er beschäftigt sich vielmehr mit körperlichen Eigenheiten und Begierden im hellen Lichte des Tages. Hachmeister setzt sich dabei insbesondere mit dem auseinander, was sich in den Präpositionen Von und Zu im Lied- und Ausstellungstitel andeutet – mit Momenten der Transformation – und betrachtet dafür Körper von Menschen und Tieren, die Wandlungsfähigkeit des eigenen Körpers und schaut in Fitnessstudios, in die Natur und auf Baustellen.
Im MdbK zeigt Harry Hachmeister Hanteln, Gewichte und Katzen aus Keramik sowie Gemälde und Hinterglasmalereien. Die Werke platziert der Künstler auf einer Baustelle im Museum. Zwar ist vor der Eröffnung jede Ausstellung eine Baustelle, anschließend lösen museale Stille den Baulärm und Besucher das Aufbauteam ab. Aus einem Möglichkeitsraum für das Zueinander von Dingen wird ab dem Ausstellungsbeginn ein Ort der Anschauung mit fixer Konstellation. Mit seiner Inszenierung bringt Harry Hachmeister diesen Dualismus zwischen Aufbau und Ausstellung durcheinander. Und ich frage mich, während ich an diesem Text schreibe, der Ausstellungsaufbau im MdbK noch bevorsteht und die Werke noch nicht in einer für das Publikum inszenierten Umgebung angekommen sind, was das wohl für die Wahrnehmung der Werke und die Ausstellung als Ganzes bedeutet.
Mit Blick auf seine letzten Ausstellungen zeigt sich, dass Hachmeister feinsinnig und humorvoll mit der Bedeutungsverschiebung von Gegenständen beim Eintritt in den Ausstellungsraum sowie mit unterschiedlichen Nachbarschaften spielt. Er integriert außermuseale Objekte und Szenerien in seine Ausstellungen und versteht diese als temporäre Konstellationen. Darüber hinaus gesteht er seinen Werken ein Eigenleben zu und versteht sie als „nichts Festes“2. Selten hängt ein Bild allein an der Wand. Stattdessen gibt es ein spannungsreiches Nebeneinander, bei dem sich die Fotografien, Gemälde, Zeichnungen und Objekte in wechselnden Zusammenstellungen gegenseitig kontrastieren, ergänzen oder befragen. Ein Teil der Ausstellung in der Leipziger Galerie ASPN war mit einer Tapete ausgekleidet, auf der ein Selbstporträt in endloser Wiederholung einen ornamenthaften Untergrund für weitere Porträts bildete. Die Hanteln und Gewichte stellte Hachmeister schon mehrfach in einer Fitnessstudio-Atmosphäre aus, wie etwa 2019 in Nothing Always Body in der Galerie der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig oder 2020 in Fragile Subjekte im Zentrum für aktuelle Kunst in Berlin. Dort lagen sie griffbereit für ein Training auf dem Boden, auf gepolsterten Hockern und auf einem maßgefertigten Hantelständer. Eine Spiegelwand bot die Möglichkeit, sich selbst mit den „Trainingsgeräten“ zu beobachten. Im gleichen Jahr machten es sich Hachmeisters Keramiken in der Warte für Kunst in Kassel auf einem Sitzsack und einem Bügelbrett gemütlich und eine Malerei lehnte sich an eine Leiter. 2020 transferierte der Künstler Berliner Straßenszenerien als raumgreifende Wandtapete in die Kölner Galerie fiebach, minninger. Lebensgroß waren darauf Personen zu sehen, die die Hanteln und Gewichte durch die Straßen trugen. Darüber hinaus integrierte Hachmeister dort erstmals Baustellenmaterialien – Ziegelsteine, eine Schubkarre oder ein Fahrgerüst dienten als Sockel oder Hintergrund für die Arbeiten.
Im MdbK platziert Harry Hachmeister nun noch mehr Baustellenelemente als in seinen vorherigen Installationen. Der Ausstellungsraum ist zu einem Baufeld geworden, bei dem Elemente einer Straßenbaustelle auf typische Aufbauhilfsmittel von Museen und Galerien treffen. In der Fülle der Materialien tritt der Moment der Transformation stärker hervor, der allen Baustellen innewohnt. Ihre klassische Funktion wird ad absurdum geführt, denn nichts Weiteres entsteht als das, was zu sehen ist. Es verändern sich vielmehr die Dinge im Ausstellungsraum. Aus den Arbeitsmitteln sind Anschauungsobjekte geworden, die zwischen Readymade und Sockel pendeln. Mit ihrer schieren Präsenz arbeiten die Baumaterialien gegen die künstliche und zeitlose Nüchternheit des White Cube an.
In diesem Setting befinden sich Hachmeisters Werke, die allesamt charakterstarke Persönlichkeiten sind. Seine Hanteln und Gewichte bestehen, anders als ihre Verwandten in Fitnessstudios, nicht aus Gusseisen in silbrig-grauer Blässe, sondern wurden von dem Künstler aus Keramik geformt und farbenfroh glasiert. Wie die Baustelle ist das Fitnessstudio ein eher männlich konnotierter Ort, an dem sich auch eine Transformation vollzieht – statt Materialien verändern sich dort Körper. Der Titel von Hachmeisters Sportgeräten, Hard Softies, verweist auf deren Produktion. Der weiche Ton wird händisch geformt und glasiert, bevor die Formen und Farben beim Brennen fest werden. Er unterstreicht auch, wie hier die Strenge des Fitnesstrainings mit zirkushafter Travestie unterlaufen wird und dass sich hinter einer harten Fassade empfindsame Wesen verbergen können. Die amüsante Eigensinnigkeit von Hachmeisters Sportgeräten zeigt sich in deren Formen – eine Hantel sieht aus wie eine Teekanne, andere erscheinen als Plateauschuhe und ein Gewicht ähnelt einer Einkaufstasche. Alle tragen Spuren von fiktiven Zugriffen, manche hängen scheinbar erschöpft herum oder beugen sich besorgt vornüber. Andere posieren selbstbewusst mit ihren Dellen und sehen dabei aus, als würden sie uns mit leiser Ironie fragen, wie es um unsere Körperformen steht.
Scheinbar wenig beeindruckt von der ganzen Szenerie lümmeln mehrere Katzen im Ausstellungsraum herum. Anders als die anderen Werke und Objekte in der Ausstellung verkörpern Hachmeisters Katzen nichts aktives, sie sind eher distanzierte Beobachter und bringen eine spielerische Leichtigkeit in die Inszenierung. Beim genauen Hinsehen stellt sich heraus, dass die Katzen einem räumlichen Tromp-l'œil entsprechen. Die Tontiere tun so, als wären sie dreidimensional. Bis auf den Katzenschwanz und die Pfoten sind sie in Wirklichkeit komplett flach, wie eine Kulisse am Filmset. An diesen Gedanken anknüpfend, wird die Bühnenhaftigkeit der gesamten Szenerie deutlich. Viele Elemente tragen Gebrauchsspuren, die von ihrer Einsatzfähigkeit als Nutzobjekte erzählen. Und doch bleibt es ein von Harry Hachmeister inszeniertes Spiel im heterotopen3 Raum des Museums, denn der Prozess der Transformation, der jeder echten Baustelle innewohnt, ist hier in einem Zwischenzustand des fortwährenden Umbaus eingefroren.
Flankiert wird das Geschehen auf der Baustelle von Vulkan-Gemälden. Sie hängen an den Wänden der Ausstellungsräume wie Fenster zu fernen Landschaften. Die gemalten Vulkane machen das, was echte Vulkane für gewöhnlich hin und wieder tun: heftig ausbrechen. Hachmeisters Vulkankrater spucken ihre Lava übertrieben hoch, sich gegenseitig zu oder leuchten verschwörerisch rot, gelb oder blau. Mit der gewählten künstlerischen Form der Malerei setzt Harry Hachmeister dem sich schlagartig ereigneten Naturereignis eine eher langsame und unbewegliche Technik entgegen, in der die Vulkane im ewigen energetischen Ausbruch (oder kurz davor) erstarren. Wie bei der Baustelle und den Keramikobjekten muss man selbst imaginieren, was mit den Vulkanen passieren könnte und ob man lieber Vergleiche zu deren natürlichen Vorbildern sucht oder der Persönlichkeit von Hachmeisters Version nachgeht.
In Von Disko zu Disko gibt es eine kleine Retrospektive. In einem Raum im Raum versammelt Harry Hachmeister rund zwanzig Hinterglasmalereien, mit denen der Künstler direkt an sein zeichnerisches und malerisches Werk anknüpft. Mit ihnen verlässt der Künstler die Pfade der Tradition im religiös-volkstümlichen Kontext, kopiert seine eigenen Motive und interpretiert diese neu. Manche davon begleiten ihn schon lange, Der Masochist etwa. Das ist eine Figur, deren Zunge an einem zweibeinigen Tisch festgenagelt ist, und die kniend die Tischplatte in der Waagerechten hält. Auf anderen Glasscheiben sind Menschen und Tiere zu sehen, die sowohl optisch als auch in dem, was sie tun, die cis-heteronormativen Konventionen unterlaufen, die in weiten Teilen der Gesellschaft immer noch als wenig hinterfragter Standard gelten. Da taucht ein plüschiger Hase im Wasser, sind zwei auf Wolken schwebende Körper an ihren Penissen miteinander verbunden. Ein nackter Jüngling, eine Kuh und ein Dackel posieren zusammen, ein blauer Mensch sitzt an einer Hochhauskante, ein kleiner Mensch steckt unter dem Rock einer Person, die in Bezug auf ihr Geschlecht schwer einzuordnen ist. Kleine und größere Verschiebungen der Farben und Formen zwischen Ursprungsbild und der neuen Version verändern mehr oder weniger subtil die Stimmung und Bedeutung der Bilder und es lohnt sich grit, die letzte Publikation Hachmeisters, vergleichend zu Rate zu ziehen.
Alles bisher Beschriebene spielt sich in dem Raum der Sonderausstellung von Harry Hachmeister ab. Von dort aus wirft er mit seinen Selbstporträts Anker in die Sammlung des MdbK aus. Seit Jahren fotografiert sich Hachmeister selbst und schaut mit konzentriert-beobachtendem Blick aus den Fotografien heraus. Im Zusammenhang mit den gemalten Porträts von Anton Graff aus der Sammlung des MdbK entsteht eine interessante Gegenüberstellung. Während der klassizistische Maler Graff Stand, Profession und Charakter seiner Bildprotagonisten des 18. und 19. Jahrhunderts in jeweils einem Gemälde verdichtet, probiert Hachmeister diverse Gemütszustände und Situationen aus und stellt so das eine gültige Porträt infrage. Zugleich zeigen seine Selbstporträts, wie unterschiedlich sich innere und äußere Zustände manifestieren und wie viel Projektionsfläche sie für uns als Betrachter bieten.
In der Ausstellung im MdbK steht eine Bank. Harry Hachmeister erzählte mir im Gespräch über die geplante Inszenierung, dass er möchte, dass man sich in der Ausstellung hinsetzen kann, und zwar auf eine richtige, schon benutzte Parkbank. Wie im Freien können wir uns innerhalb der Ausstellung auf diese Bank niederlassen, um unsere Umgebung in Ruhe zu beobachten oder weil wir erschöpft sind oder um mit jemandem zu plaudern. Jetzt, wo die Bank für mich noch nicht beziehungsweise für Sie eventuell nicht mehr da ist, weil Sie nicht mehr im Ausstellungsraum sind und ich schreibend an meinem Computer sitze, können wir uns nur vorstellen, auf der Bank Platz zu nehmen und unseren Gedanken zur Ausstellungsinszenierung von Harry Hachmeister folgen.
Mein Resümee ist, dass mir sehr viele von Harry Hachmeisters Figuren ziemlich sympathisch sind und meine Imagination ins Schwingen bringen, denn die Figuren zeigen sich ganz selbstverständlich in ihrer Eigensinnigkeit. Sie setzen sich meinen und Ihren Blicken aus und schauen häufig mit tragisch-komischer Ernsthaftigkeit zurück. Dass dies alles im Setting einer künstlerischen Baustelle passiert, entzieht dem musealen Kontext seine Schwere. Zugleich lässt es mich leichtfüßig erkennen, dass wir als Betrachter hier an unseren Vorstellungen von Menschen und Körpern, Sexualität, Identität und Intimität arbeiten können.
1 ↩ Whirpool Productions: From: Disco To: Disco, 1996
2 ↩ Harry Hachmeister im Gespräch mit Luisa Schlotterbeck, in: https://fiebach-minninger.com/wp-content/uploads/2021/02/2020_Harry-Hachmeister_Pressetext_DE.pdf [zuletzt aufgerufen am 9.9.2021]
3 ↩ Michel Foucault hat den Begriff der Heterotopie für sogenannte andere Räume geprägt. Er bezeichnet damit Räume, die einer Funktionsverschiebung unterliegen. Es sind Orte, die anderen Regeln folgen und auf besondere Weise gesellschaftliche Verhältnisse reflektieren, indem sie sie repräsentieren, negieren oder umkehren (Vgl. Michel Foucault: „Andere Räume“, in: Barck, Karlheinz u.a. (Hg.), Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, Leipzig 1992, S. 34-46).