Christin Müller
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Super-8-Szene

Für die subkulturelle Szene der 1980er bot die Arbeit mit der Super-8-Kamera ein weitgehend freies Experimentierfeld. Während die Filmproduktionen der DEFA staatlich kontrolliert wurden und moderne Videotechnik aus ökonomischen und politischen Gründen für Privatpersonen nicht verfügbar war, beachtete die offiziellen Kunst- und Kulturpolitik Super-8 nicht als künstlerisches Medium.1 1968 kam die sowjetische Schmalfilmkamera Quarz für den Amateurbereich auf den DDRMarkt. Als erster Künstler verwandte der damals noch in Dresden lebende A. R. Penck Super-8-Techniken ab Mitte der 1970er Jahre. In den 1980er Jahren begann unter der jüngeren Generation der um 1960 in der DDR Geborenen geradezu ein Schmalfilm-Boom.2 Die frühen Protagonist_innen der Szene waren häufig Maler_innen. Diese Künstler_innen arbeiteten intermedial und verfolgten einen experimentellen Umgang mit dem Filmmaterial. Filme wurden bemalt, zerkratzt und zerschnitten und als performative Aufführungen mit großem Improvisationsanteil gezeigt.

Die Filmästhetik und der freie, zuweilen hemmungslose Umgang mit Super-8-Filmen wurden stark von der Qualität der verfügbaren Mittel beeinflusst. Die Kameras waren zwar erschwinglich – eine Quarz-Kamera erhielt man für ca. 250 DDR-Mark3 –, hatten jedoch einen Federwerk-Motor für den Filmtransport, wodurch lediglich dreißig Sekunden am Stück aufgenommen werden konnten und sich die Geschwindigkeit des Filmtransports nach zwanzig Sekunden verlangsamte. Abhilfe leisteten Kontakte aus der BRD: Gabriele Stötzer bekam etwa 1985 eine Bauer-Kamera von der westdeutschen Filmemacherin Christa Maar, die sie bei deren Filmrecherche über ostdeutsche Frauen kennengelernt hatte. In Drogerien waren Filme in Schwarzweiß und in Farbe aus der DDR-Produktion von ORWO und aus der Sowjetproduktion von ASSO erhältlich. Erwerben konnte man allerdings lediglich Diapositiv-Filme, die sich nur in schlechter Qualität kopieren ließen.4 Darüber hinaus besaßen Filme und Projektoren keine Tonspur. Die Bilder mussten entweder für sich sprechen oder wurden mit parallel abgespielten Kassetten oder Live-Musik gezeigt. Mangelnde Synchronität glich die Veränderung der Projektionsgeschwindigkeit aus – jede Vorführung war einzigartig und mit einer Premiere vergleichbar.5 Als einziger Dienstleister in der DDR entwickelte das DEFA-Kopierwerk in Berlin-Johannisthal die Filme. Der Zugriff des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) war aufgrund der zentralisierten Filmentwicklung möglich, blieb aber weitestgehend aus.6

Insgesamt war die Super-8-Filmszene der DDR überschaubar. In den frühen 1980er Jahren wandten sich unter anderem Gino Hahnemann, Cornelia Schleime, Christine Schlegel, Helge Leiberg, Gabriele Stötzer, Thomas Ranft, Lutz Dammbeck und Andreas Dress dem Super-8-Film als Experimentierfeld zu und inspirierten sich gegenseitig.7 Die Resultate waren zunächst in den Wohnungen, Ateliers und Hinterhöfen von hauptsächlich Ost-Berliner Künstler_innen zu sehen, so bei Petra Schramm und Wilfriede Maaß. In Erfurt vernetzte Stötzer die Szene: 1983 lud sie Hahnemann und Schleime ein, ihre Filme bei einem Künstlerfest bei Rolf und Stephanie Lindner zu zeigen. 1987 erwarb sie alle Karten des Kino Klubs am Hirschlachufer und verkaufte sie anschließend für fünf DDR-Mark weiter, um dort ihre Filme vor Publikum vorführen zu können.8

Mitte der 1980er Jahre veränderte sich die Charakteristik der Filme und deren öffentliche Wahrnehmung. Mit Mario Achsnik, Thomas Werner, Cornelia Klau. Und Thomas Frydetzki traten neue Akteur_innen auf, deren Filme deutlich narrativer waren.9 Als erstes wichtiges Ereignis zur Vernetzung der subkulturellen Szene, zu dem auch Filmemacher_innen eingeladen waren, gilt das Festival Intermedia I: Klangbild – Farbklang, das 1985 im Clubhaus Coswig stattfand und von Christoph Tannert und Michael Kapinos organisiert wurde. Ab 1987 formierten sich Plattformen zum Austausch: In der Hochschule für bildende Künste (HfbK) in Dresden fanden mit der filma morgana (1987), filma secunda (1988) und filma tribuna (1989) die größten Treffen der unabhängigen Filmszene der DDR statt, organisiert hatte diese Claudia Reichardt (Wanda).10 Im Nachgang der filma morgana publizierte Thomas Werner die erste Ausgabe der selbstverlegten Zeitschrift Koma-Kino, die bis 1989 in sechs Ausgaben als Ort zur Publikation von Filmexposés, Ankündigungen, Kommentaren zum Zustand der Super-8-Szene sowie Fotografien diente. Ein von dem Galeristen Gunnar Barthel zusammengestelltes Filmprogramm war 1987 in der Galerie Oben in Karl-Marx- Stadt zu sehen und tourte anschließend nach Annaberg- Buchholz, Cottbus und Leipzig. In der BRD sorgten ausgereiste Künstler_innen für die Präsentation der ostdeutschen Filmszene. Schleime und Leiberg vermittelten die Teilnahme Stötzers und Hahnemanns an dem Westberliner Festival Tage des Schmalfilms 1985, auf dem 7. Osnabrücker Experimentalfilm Workshop stellten übergesiedelte DDR-Künstler_innen Filme aus der DDR vor. Trotz dieser Vernetzungsaktivitäten war die Super- 8-Filmszene nie wirklich geschlossen. Bereits vor der politischen Wende war der Austausch von Kontroversen und Anfeindungen gepr.gt, die sich unter anderem bei den Treffen an der HfbK in Dresden zeigten.11 Darüber hinaus dünnte sich die Szene zunehmend durch die Abwanderung von Künstler_innen in den Westen aus.12 Der Zugang zu Videotechnik nach der Wende löste schließlich Super-8 weitestgehend ab. Gleichzeitig riefen Claus Löser und Karin Fritzsche das Archiv ex.oriente.lux ins Leben, das an das Berliner Kulturzentrum Brotfabrik angegliedert ist und sich bis heute der Bewahrung des Schmalfilmerbes der DDR verschrieben hat.

1   Siehe u. a. Dieter Daniels: „Auf der Suche nach dem Land der Ahnungslosen“, in: Grauzone 8 mm. Materialien zum autonomen Künstlerfilm in der DDR, hrsg. von ders. und Jeanette Stoschek, Ostfildern 2007, S. 9–14, hier S. 9.

2   Claus Löser setzt dies in Zusammenhang mit der Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976 und der damit einhergehenden zunehmenden Unzufriedenheit innerhalb der subkulturellen Kulturszene der DDR. Siehe Claus Löser: „Vorab“, in: Gegenbilder. Filmische Subversion in der DDR 1976–1989, hrgs. von ders. und Karin Fritzsche, Berlin 1996, S. 5–24, hier S. 6–7.

3   Ebd., S. 17.

4   In der Regel wurden keine Kopien erstellt, sondern bei den Vorführungen Originale gezeigt, die sich dadurch mit jeder Vorführung in der Qualität verschlechterten.

5   Siehe Thomas Werner: „Hoffnung – Super 8 Film“, in: Koma-Kino 2, Oktober 1987, o. S.

6   Das MfS beschlagnahmte die Filme eher bei Hausdurchsuchungen und erteilte Ordnungsstrafen bei unerlaubter Vorführung. Siehe Löser: wie Anm. 2, S. 14–15.

7   Gabriele Stötzer und Cornelia Schleime waren von einer Filmvorführung von Gino Hahnemann in einem Berliner Hinterhof 1982 derart begeistert, dass sie selbst anfingen, mit Schmalfilm zu arbeiten. Stötzers Filme brachten nach eigenen Aussagen Irmgard Senf, Jens Tukiendorf und Matthias Schneider in Erfurt dazu, sich im Medium auszuprobieren.

8   Beide Veranstaltungen sind in Stötzers Stasi-Akten dokumentiert. Für die Filmvorführung erhielt sie am 10. März 1987 ein Ordnungsstrafverfahren (siehe: Archiv Stötzer).

9   Siehe u. a.: http://www.perfomap.de/map2/geschichte/intermedia-ddr (zuletzt abgerufen am 9. August 2022).

10   Siehe Daniels: wie Anm. 1, S. 14.

11   Einen guten Einblick in die Arbeitssituation, Filme und Motivation der Künstler_innen geben die Gespräche mit den Akteur_innen in dem Dokumentarfilm Die subversive Kamera. Die Super-8-Filmszene in der DDR von Cornelia Klau. (1996).

12   Siehe u. a. Claudia Reichardt (Wanda): „Die Treffen der Super-8-Filmer in Dresden“, in: Gegenbilder. Filmische Subversionen in der DDR 1976–1989, hrsg. von Karin Fritzsche und Claus Löser, S. 104–106.

Publikationsort
Susanne Altmann, Katalin Krasznahorkai, Christin Müller, Franziska Schmidt, Sonia Voss, nGbK Berlin (Hg.): HOSEN HABEN RÖCKE AN. Künstlerinnengruppe Erfurt 1984-1994, Berlin 2023, S. 87-91