Onorato & Krebs: Future Memories
Die Zukunft ist faszinierend, denn sie bietet einen Möglichkeitsraum, der mit enthusiastischen Utopien oder dystopischen Schreckensszenarien angefüllt werden kann. Unsere Vorstellung der Zukunft hat sich in den letzten Dekaden von Euphorie zu Ernüchterung und Angst verschoben. Wann hat diese Verschiebung begonnen und woran lässt sich das ablesen? In der neuen Arbeit FUTURE MEMORIES versuchen Taiyo Onorato & Nico Krebs den veränderten Ausformungen der Zukunft mit Fotografie auf die Spur zu kommen. Das erscheint erstmal paradox. Die Fotografie ist trotz der Möglichkeiten der Bildmanipulation und der Digitalisierung an die Aufzeichnung von real vorhandenem Licht auf einem lichtempfindlichen Träger oder Sensor an einem bestimmten Zeitpunkt gebunden. Die neuen Bilder von Onorato & Krebs müssten demnach zukünftiges Licht enthalten und die fotografisch fixierte Zeit nach vorn ausdehnen.
„Die Zukunft hat ein altes Herz“, schieb der italienische Autor Carlo Levi 1956. Etwas weiter ausgeführt hieße dies: Sie beginnt tief in der Vergangenheit, entwickelt sich in der Gegenwart weiter und wird zunehmend von Menschen gestaltet. 2020 überstieg die künstlich geschaffene Materie erstmals die vorhandene Biomasse. Diesen Annahmen folgend suchen Onorato & Krebs in ihrem eigenen Bildarchiv nach Anzeichen für Zukunftsvorstellungen. In den letzten Jahren haben sie für ihre Projekte mit den USA und China Länder bereist, in denen Visionen und die dafür notwendigen Technologien und urbanen Strukturen entwickelt werden. Zuletzt waren sie auf den Malediven, wo sich die prognostizierte ökologische Krise bereits deutlich in der Landschaft abzeichnet. Mit neuen Aufnahmen aus Griechenland und aus Museen erweitern die Künstler den aufgenommenen Zeithorizont. Jahrhunderte alte Tempelanlagen erzählen von einer Stein gewordenen Vision lange vor Beginn unserer Zeitrechnung. Museumsvitrinen verweisen auf eine ausgewählte, konservierte Vergangenheit, die zur späteren Anschauung ausgestellt werden.
Um über mögliche Zukunftsszenarien zu spekulieren, lassen Onorato & Krebs in FUTURE MEMORIES Fragmente aus diesem Bilderfundus miteinander kollidieren. Mit einem digital programmierten Laser zerschneiden sie ihre analogen Negative oder heben die Eigenheiten des Fotografierten hervor. Das intensive Licht des Lasers hinterlässt Spuren in den Negativen und macht deren Materialität sichtbar, wenn er in die Emulsionsschicht einbrennt. An den Schnittkanten treffen die neu zusammengefügten Realitäten ähnlich unvermittelt aufeinander wie bei einem Fenster. An dieser Stelle lässt sich ein Rückbezug zur Fotogeschichte ziehen. Seit ihrer Erfindung gilt das Medium als ein Fenster zur Welt, das uns ausschnitthaft eine andere Realität vor Augen führt. Bereits das erste fotografisch fixierte Bild von Nicéphore Nièpce zeigte 1826 paradigmatisch einen Blick aus dem Fenster seines Arbeitszimmers. Im Anschluss ermöglichten Reisefotografien Ausblicke auf ferne Länder und Kulturen. Heute sind die Kacheln auf Instagram nichts anderes als Fenster zu unzähligen individuellen Realitäten. Onorato & Krebs verdichten mit FUTURE MEMORIES das Beobachtete und überwinden nicht nur den Raum, sondern auch die Zeit. Auf diese Weise visualisieren sie Fragen danach, wie sich unser Bezug zur Welt in der Zukunft verändert, wenn wir uns immer weiter vom Erdboden entfernen? Sie spekulieren darüber, welche Realitäten sich vor unseren Fenstern abspielen und wie weit der Einblick in Privaträume aufreißt? Ob wir Screens brauchen, um dem Zustand der Welt zu erkennen und was in Zukunft musealisiert sein wird, die Natur, die Umweltverschmutzung oder eine künstliche Welt, in der nichts dergleichen mehr existiert?
In den Schwarz-Weiß-Bildern der Werkgruppe kippt die Bildrealität in eine poetische Schwebe. Eine tragende Rolle bekommt das Licht und die Reaktionen des fotografischen Materials. Ein Bezug zur Wirklichkeit besteht nur technisch durch die Spuren des Lasers und die fotogrammatische Abdrücke von geometrischen Schablonen oder rätselhaften Gegenständen. Sich in diesen Bildern zu orientieren, ist nicht ganz einfach. Das Abgebildete changiert zwischen Mikro- oder Makrokosmos. Wir könnten in eine Unterwasserwelt oder in das Weltall blicken. Was diese Formen zu bedeuten haben oder wann sie entstanden sind, können wir nur mit unserem visuellen Gedächtnis abgleichen. Raum und Zeit sind gänzlich aufgehoben. Was bleibt, sind Bilder des gänzlich Unbekannten, das Teil unserer Zukunft sein könnte.