Christin Müller
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Fragen an Pétrel I Roumagnac (duo)

Die Fotografie erobert in den Arbeiten des Künstlerpaars Pétrel I Roumagnac (duo) sprichwörtlich den Raum. Ihre Bilder und Bildfragmente drucken die französischen Künstler auf lange Papierbahnen, Plexischeiben, Holzbretter und gefundene Gegenstände und inszenieren sie als foto-szenische Installationen im Ausstellungsraum. Diese Inszenierungen sind Interpretationen von Geschichten, Spiegel der sie umgebenden Architektur und erzeugen über das Wechselspiel mit ihrer neuen Umgebung visuelle Illusionen. Im Verlauf der Ausstellung aktivieren die Künstler ihre Installation, indem einzelne Bildobjekte umgestellt und in neue Konstellationen gebracht werden. Auf diese Weise entstehen Installationen, die ein Hybrid aus fixierten Bildern und performativer Skulptur sind.

Christin Müller: Wie transformiert ihr eine Idee in ein ein foto-szenisches Stück?

Aurélie Pétrel: Unsere Zusammenarbeit verbindet unsere jeweilige künstlerische Praxis und Forschung – bei mir ist es die Fotografie und bei Vincent das szenische Dispositiv. Der Idee einer „fotografischen Zerlegung“ folgend experimentiere ich mit der Neuzusammensetzung von Bildern und ihrem ewigem Werden. Indem ich die Ursprungsbilder bzw. „latenten Bilder“ neu zusammensetze, verändere ich die räumlichen Beziehungen der Einzelteile zueinander so, dass neue Ansichten in unterschiedlichen Ausstellungskontexten möglich werden.

Vincent Roumagnac: Mich interessiert das Nachdenken über die Inszenierung, von der Aufhebung der Diskontinuität zwischen Bühne und Backstagebereich bis hin zur Erweiterung des szenischen Erlebnisses des traditionell anthropozentrischen Theaters der griechischen Antike – in Hinblick auf Zeitlichkeit und Materialität. Diese Ideen zur Dezentralisierung von Bildern und Bühne bringen wir in unsere Projekte als Duo ein, um damit die Zeitlichkeit der Repräsentation spielerisch sichtbar zu machen und zu hinterfragen. In diesem Sinne versuchen wir dem Zeitgenössischen seine Zeitgenossenschaft, also sein Potential einer zeitlichen Parallelität, zurückzugeben, die in unserem Fall unendliche viele Kombinationsmöglichkeiten der Werke bedeutet. Die Transformationen unserer Bilder und räumlichen Dispositive bilden diese Neuzusammensetzungen, Verlagerungen, Dezentralisierungen sowie andere Abweichungen, Unstetigkeiten und die Unsicherheit in der Repräsentation. Solche permanenten Verwandlungen unserer Werke, die im kritischen Dialog mit den Regeln der institutionellen Kontexte, in denen sie gezeigt werden, stattfinden, thematisieren unablässig die Leitfrage: Wann findet das Werk statt?
 
Christin Müller: Eure Arbeit wird im Verlauf der Ausstellung aktiviert und reaktiviert. Was passiert und wie wird sich die Wahrnehmung Eurer Arbeit verändern?

Vincent Roumagnac: Für die Biennale haben wir uns entschieden mit zweierlei Quellen zu arbeiten, einem literarischen Text und einem aus dem Theater: Es ist ein Auszug aus Euripides’ klassischer Tragödie Die Kreter und Jorge Luis Borges’ Kurzgeschichte Das Haus des Asterion. Beide Werke beinhalten das gleiche mythologische Hauptmotiv des Minotaurus. Mit den damit verbundenen Fragen zur ästhetischen Figur des Monsters möchten wir uns weiterhin gern beschäftigen. Für Aristoteles repräsentiert das Monster das Unvollständige. Bei Platon steht es für die Bedrohung des Einzelnen, der Einheit der Stadt, von wo aus es systematisch in Erscheinung tritt.

Aurélie Pétrel: Unsere foto-szenischen Stücke sind monströs, da sie nicht nur Hybride, sondern auch von Natur aus unvollständig sind. Mit ihnen versuchen wir die Unveränderlichkeit des „Einen“ zu durchbrechen, indem wir deren wechselhafte Natur szenisch oder fotografisch herausstellen. Unser neues Werk, das im Wilhelm-Hack-Museum, Ludwigshafen ausgestellt wird, wird sich im Verlauf der Zeit von einer Position im Depot oder Lager, aus einer sichtbaren Ecke des hinteren Teils des Museums im Raum bewegen. Während der gesamten Laufzeit der Ausstellung multipliziert sich das Werk und die Besucherinnen und Besucher, die wiederkommen, können die rätselhaften Metamorphosen des Werks im Verlauf seiner Platzierungen und Neuzusammensetzungen in einer Institution verfolgen, die räumlich und zeitlich abgeschlossen ist.

Publikationsort
Biennale für aktuelle Fotografie Newsletter #9, 1.9.2017