Viktoria Binschtok im Gespräch mit Christin Müller
c.m.— Was war die Initialzündung für deine Arbeit mit Internetbildern?
v.b.— Es war weniger eine Initialzündung als ein längerer Denkprozess, der durch die zunehmende Digitalisierung und Globalisierung bei mir einsetzte. Meine bis dahin geltende Definition von Fotografie bezog sich auf die analoge Welt. Durch die digitale Umwandlung von Bildern und ihre damit einhergehende Immaterialität wurde diese Weltsicht obsolet und ich verwirrt. Ausgehend von der Frage nach den wesentlichen Unterschieden zwischen Online-Bildern und Bildern, die wir nicht am Bildschirm oder im Internet sehen, begann ich um die Jahrtausendwende, an den Globen zu arbeiten. Die Beschäftigung mit den Bildern im Netz begann also auch aus der individuellen Notwendigkeit heraus, mich in einer gesellschaftlichen Umbruchsituation zu positionieren und damit auch meine Gedanken zu sortieren.
c.m.— Was interessierte dich an den digitalen Fundstücken?
v.b.— Ich wollte wissen, ob das Internet tatsächlich ein demokratisches Medium ist und inwieweit die neuen Möglichkeiten der Distribution von Bildern auch Einfluss auf deren Inhalte haben würden. Dabei inspirierte mich unter anderem McLuhans The Medium Is the Message, die Auswirkungen der globalen Vernetzung zu verstehen. Es ging mir also weniger um einzelne Bilder als darum, den Zusammenhang zu begreifen, in dem sie mir begegneten.
Mich faszinierte die sekundenschnelle Bildersuche, die es ermöglicht, durch Eingabe von Begriffen zu visuellen Verknüpfungen zu gelangen. Diese Koppelung von Wort und Bild und damit die gegenseitige Abhängigkeit von Wort und Bild hielt ich zu diesem Zeitpunkt, Ende der Neunziger, noch für untrennbar. Seither gab es einige Entwicklungen, und inzwischen befinde ich mich mit meiner Arbeit im spannenden Stadium der Bild-zu-Bild-Suche. Diese funktioniert auch ohne die Verschlagwortung von Bildern, indem sie visuelle Übereinstimmungen aufspürt. Von dieser Methode mache ich nun in meiner aktuellen Arbeit Clusters Gebrauch.
c.m.— Was ist der Unterschied zwischen dem Fotografieren am Rechner und dem Bildermachen vor Ort?
v.b.— Ich habe für mich entschieden, keinen Unterschied zwischen den Bildern zu machen, die mir am Monitor begegnen, und denen außerhalb. Ich akzeptiere das im Netz Gesehene als Teil meiner Erfahrungen. Wichtig beim Fotografieren war mir in jedem Fall, durch den Sucher der Kamera zu blicken und auf den Auslöser zu drücken. Nur so konnte ich behaupten, ein eigenes Bild gemacht zu haben. Deshalb habe ich die Bilder, die ich zum Begriff „Globus“ fand, vom Bildschirm abfotografiert und nicht direkt ausgedruckt. Der Akt des Fotografierens spielte also bei der Aneignung der Bilder die entscheidende Rolle. Ob nun aber das Licht des Monitors, der Sonne oder der Glühbirne den Bildträger belichtete, war für mich unerheblich.
c.m.— War das Arbeiten mit Fremdmaterial Thema im Studium?
v.b.— Es wurde als eine Möglichkeit der künstlerischen Strategie unter vielen thematisiert und hat mich zunächst nicht weiter interessiert. Ich war Anfang zwanzig und noch stark vom subjektiv dokumentarischen Blick auf die Welt geprägt. Das änderte sich, als ich feststellte, dass mich wiederum die Befindlichkeitsfotografie anderer nicht interessierte. Als Konsequenz daraus behielt ich seither private Momente für mich.
Mitte der Neunziger, gleich zu Beginn an der Hochschule, lernte ich Michael Schade kennen, der gerade sein Diplom vorbereitete. Die Arbeit basierte auf einem gefundenen Fotoalbum von einer ihm unbekannten Frau. Seine Faszination, mit diesen Bildern umzugehen, sie aus dem ursprünglichen Kontext zu lösen, übertrug sich auf mich. Eine weitere Inspiration war für mich die Ausstellung Konstruktion Zitat / Kollektive Bilder in der Fotografie, die ich 1993 im Sprengel Museum Hannover sah. Es waren Werke von Christian Boltanski, Hans-Peter Feldmann, Fischli & Weiss, Sherrie Levine, Richard Prince und Cindy Sherman, die mein Interesse an der medial vermittelten Wirklichkeit durch Fotografie geweckt haben. Außerdem stieß ich auf weitere spannende Publikationen und Projekte wie das charmante Magazin Ohio. Es zeigte meistens Bildarchive und Bildsammlungen aus den unterschiedlichsten Quellen und hat mich inhaltlich und formal immer überrascht.
c.m.— Gibt es für dich einen Unterschied zwischen digitalem und analogem Arbeiten?
v.b.— Da ich die Technik je nach Bedarf auswähle, ist es für die finale Arbeit nicht relevant, ob sie analog, digital oder cross-over entsteht. Der gravierendste Unterschied besteht für mich im jeweiligen Arbeitsablauf. Ich bilde mir ein, mit analoger Technik anders, konzentrierter zu arbeiten und schneller zufrieden zu sein. Es gibt einen Punkt, an dem ich weiß, das Bild, das ich machen wollte, gemacht zu haben, obwohl ich es erst viel später zu sehen bekomme. Ich finde die Zeitspanne, in der die Filme lediglich belichtet, jedoch noch nicht entwickelt sind, eine angenehm aufregende. Die Sichtung der Kontakte ist meistens mit Spannung, Freude, aber auch mit Enttäuschung verbunden. Im digitalen Prozess habe ich leider noch keine Entsprechung gefunden, meine Bilder in Empfang zu nehmen. Da ist der Übergang zwischen Fotografieren und Akzeptieren beziehungsweise Verwerfen fließend.
c.m.— Sind deine Arbeiten eine Form, mit der viel beschworenen Bilderflut umzugehen?
v.b.— Ich empfinde die Bilder, die mich umgeben, nicht unbedingt als eine Flut. Bilderflut klingt bedrohlich und unausweichlich. Es kommen natürlich immer mehr Bilder in Umlauf. Den Konsum möchte ich aber lieber mit einem Wasserhahn vergleichen, den man je nach Bedarf auf- und wieder zudrehen kann. Mit dem Material zu arbeiten, ist eine spannende Angelegenheit, denn es ist ganz nah dran am Puls unserer Zeit. Die Clusters beispielsweise sind wie Stichproben aus einem universellen Bilderpool und funktionieren zunächst auf rein visueller Ebene. Sie weisen neben der ähnlichen Farbgebung oft weitere verblüffende Analogien hinsichtlich Formen und Strukturen auf, während sie inhaltlich in keinem erkennbaren Zusammenhang stehen. Ich nutze den Algorithmus einer Bildsuchmaschine, die Bilder im Netz nach Übereinstimmungen filtert, um zu diesen Ergebnissen zu gelangen. Indem ich ein eigenes Bild in die Suchanfrage eingebe, beteilige ich mich plötzlich an diesem weltweiten Austausch von Daten. Aus den angebotenen JPEGs suche ich mir wiederum nur einige aus und verwende sie lediglich als Ideengeber. Sie funktionieren wie Bauanleitungen auf dem Weg zu ihren hochauflösenden Versionen. Im Endeffekt repräsentieren meine so entstandenen Fotografien ihre Vorbilder im Netz. Es ist eine fotografische Untersuchung der visuellen Kommunikation unserer Zeit.
Dieses ständige Geben und Nehmen von bildbasierten Informationen hat unsere Rolle im Laufe der Jahre vom passiven User zum aktiven Exhibitionisten erweitert. Wir alle, die Bilder teilen, sind somit mehr oder weniger Teil dieser visuellen Kultur geworden. Mithilfe dieses Vorgangs – von der Bildfindung über die Aneignung bis zur Reinszenierung – möchte ich diese Kultur ein Stück weit abbilden.
c.m.— Deine Serien sind von den Erscheinungsformen sehr unterschiedlich. Wie bestimmst du Technik und Material?
v.b.— Da ich mich nie auf eine Kameratechnik wie Klein-, Mittel- oder Großformat festgelegt habe, entscheide ich mich jedes Mal aufs Neue für ein Format. Die Wahl für eine Kamera ist meistens sehr pragmatisch, je nach dem, was mir wichtig erscheint: wie eine möglichst hohe Auflösung bei den Clusters, eine schnelle Reaktionszeit bei Three People on the Phone – oder beides wie bei World of Details. Die Präsentation ist ein weiterer Schritt, bei dem ich vieles ausprobiere. Besonders bei den Clusters wird die Vielfalt der Formate deutlich. Jedes Bild und jede Bildgruppe innerhalb dieser Werkreihe bekommt eine eigene Form, für die ich mich erst im Entstehungsprozess entscheide. Ich hatte das Bedürfnis, die durch das Filmformat definierten Bildgrenzen aufzulösen und das Bild in seine Umgebung visuell einzubetten, zum Beispiel mit Marriage is a Lie / Fried Chicken Cluster. Die Überlagerung von Bildebenen und Verwendung verschiedener Auflösungen ist eine Möglichkeit, die lineare Lesbarkeit zu unterbrechen. Hinzu kommt bei diesem Cluster die Geste der abgerissenen Wandtapete, ein Akt, der ein zufälliges Ergebnis zulässt. In der Fotografie ist vieles technisch vorgegeben und normiert, wie die ,richtige‘ Belichtungs- und Entwicklungszeit, Filterung, rechte Winkel etc. Das zu überwinden und neue Darstellungsformate zu finden, ist für mich eine spannende Arbeit.
c.m.— Timm Rautert meinte kürzlich in einem Interview im Deutschlandfunk, dass es digitale Fotografie gar nicht gibt. Seiner Meinung nach ist es ein falscher Begriff, weil die Einschreibung von Licht in einen Träger fehlt. Wie siehst du das?
v.b.— Meiner Meinung nach ist es eine Frage der Definition, ob nun die Umwandlung von Licht in ein elektronisches Signal oder die Einschreibung von Licht in einen lichtempfindlichen Träger ein Bild verursacht. Eine neue Wortschöpfung für die digital-elektronische Bildaufzeichnung würde doch nichts daran ändern, wie wir die Fotografie wahrnehmen. Ich persönlich weise nicht ausdrücklich darauf hin, ob eine Belichtung digital oder analog entstanden ist. Nur bei der Technik der Papierbelichtung achte ich darauf, zu erwähnen, ob es sich um einen analogen oder digitalen C-Print handelt. Hier nämlich gibt es für mich einen kleinen, aber feinen Unterschied: Der analoge Abzug ist die handwerkliche Leistung eines Menschen, die deshalb im Ergebnis minimalen Schwankungen unterliegt. Die digitale Ausbelichtung sollte theoretisch immer konstant sein. Zum Inkjet-Druck wiederum habe ich ein gespaltenes Verhältnis. Dieses Verfahren ist für mich, technisch gesehen, eher grafisch als fotografisch. Bei der Verteilung von Farbe auf Papier spielt das Licht plötzlich gar keine Rolle mehr und das Ergebnis ist mir oft zu scharf und flach.
c.m.— Diese Ausstellung und der Katalog werden wahrscheinlich zehn bis fünfzehn Jahre reisen. Kannst du dir vorstellen, wie sich die Fotografie und die Bildkultur in dieser Zeit verändern werden?
v.b.— In meinen Arbeiten reagiere ich zwar gerne auf Veränderungen des Mediums, habe jedoch zu wenig Phantasie, sie vorauszusehen. Die Tendenzen der letzten Jahre zeigen, dass Fotografie heute alles sein kann: ein Stück Papier, eine Datei, eine Skulptur, etwas Kurzlebiges oder auch Archivbeständiges. Fotografien waren schon immer Erinnerung und Konstruktion, also alles, was wir in ihnen sehen wollen. Ich habe vor Kurzem diesen schönen Vergleich eines jungen Studenten gelesen: „Fotografie ist wie ein Fuß, der immer weiter aus seinem Schuh herauswächst.“ Wir werden es also in Zukunft mit Riesenfüßen zu tun haben.